Noch ein Text zum Thema Kulturmisere?

Nein, ich möchte hier kein weiteres Lamento über das Desinteresse der Politik an der Kultur liefern. Auch ein genussvolles Lunacek-Bashing mehr wäre überflüssig und wahrlich keine Kunst.

Vielleicht muss man aber doch einmal klarstellen, weshalb wir Kulturschaffenden so enttäuscht und teils wütend reagieren.

Es ist nicht nur die Sorge wegen abgesagter Veranstaltungen, totaler Einkommensverluste und noch mehr wegen des Fehlens einer Perspektive für die Zukunft. Es ist nicht nur das finanzielle Elend, in das viele nun ohne jede Absicherung stürzen. Es ist nicht nur die Ungerechtigkeit und Unverständlichkeit etlicher Maßnahmen, wie etwa die seltsamen und nicht erklärbaren Unterschiede in den Vorgaben für Handel, Gastronomie oder Luftfahrt im Vergleich zu denen für Kulturveranstaltungen. Es ist nicht nur die Tatsache, dass uns mit dem Quasi-Verbot der Berufsausübung auch ein Teil unseres Selbst genommen wird. Und es ist nicht nur das offensichtliche Desinteresse der Politik und einiger Teile unserer „Kulturnation“ an Kunst und Kultur.

Es ist die Summe all dessen und noch einiges mehr.

Neben viel Verständnis und Solidarität geistert da auch immer wieder ein recht seltsames Bild von den Kulturschaffenden durch so manchen Medienkommentar. Da werden wir zum einen als geradezu egomanische Selbstdarsteller gezeichnet, die jetzt wegen mangelnder Aufmerksamkeit beleidigt sind; zum anderen scheint Kunstproduktion allgemein für viele immer noch als eine Art Hobby zu gelten, jedenfalls nicht als ernstzunehmender Beruf, der auch fair bezahlt werden soll. Wir lernen und erfahren zwar immer wieder, dass Kunst und Kultur für unser Menschsein essentiell seien, „systemrelevant“ sind wir Kulturschaffenden aber allem Anschein nach nicht.

Vorstellung und Realität

Ganz ohne Anmaßung wage ich dem gegenüber die Behauptung, dass es kaum einen anderen Bereich in unserer Gesellschaft gibt, wo durchgehend derart professionell und effizient gearbeitet wird wie in der Musik und in den darstellenden Künsten. Der Grad an Ernsthaftigkeit, Gewissenhaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein ist extrem hoch, er muss es auch sein, um in diesem „Geschäft“ bestehen und überleben zu können; die Effizienz ergibt sich wiederum schon aus den ständig zu knappen Budgets.

Um beispielsweise überhaupt in Betracht ziehen zu dürfen, als Musiker*in auch seinen Lebensunterhalt verdienen zu können, bedarf es einer jahrelangen, intensiven Ausbildung. Das Erlernen eines Instruments oder die Ausbildung der Stimme ist ein langer Prozess, der meist schon im frühen Kindesalter beginnt und ein enormes Maß an Einsatz und Disziplin, aber auch Verzicht und vor allem große Leidenschaft verlangt. Das ständige Lernen und Üben hört auch später nie auf; sich auf irgendwelchen Lorbeeren auszuruhen, kann sich niemand leisten, dazu ist die Konkurrenz viel zu groß. Die Arbeit als Profi bewegt sich also auf einem Level, das man sich – mit Verlaub – in einem „normalen“ Job oft gar nicht vorstellen kann. Das heißt auch: Kein Schauspieler, Sänger oder Musiker könnte es sich je erlauben, derart unvorbereitet in eine Probe zu kommen, geschweige denn auf die Bühne zu gehen, wie beispielsweise Frau Lunacek oder Herr Kogler in eine Pressekonferenz. Für Missachtung, Ahnungslosigkeit und Desinteresse kann man ja noch ein gewisses Verständnis aufbringen; ein derartiges Ausmaß an Unprofessionalität aber ist zutiefst beleidigend.

Arbeit oder Hobby?

Noch ein Kardinalirrtum: Auch wenn die Arbeit insbesondere im freiberuflichen Bereich vielfach an Selbstausbeutung grenzt und sich streng genommen – wenn ich den geleisteten Einsatz den durchschnittlichen Gagen gegenüberstelle – für 90% der Künstler niemals rechnen kann (und deshalb oft mit Nebenjobs abgesichert werden muss), so ist sie dennoch kein Hobby und es geht dabei auch nicht um persönliche Selbstverwirklichung. Wir sind Profis, und ein moderner Kulturbetrieb braucht auf allen Ebenen hochprofessionelle Akteure und Strukturen, um zu funktionieren. Vieles im Beruf eines Kulturschaffenden hat weniger mit „Kreativität“ zu tun als mit dem Training eines Spitzensportlers. Vieles ist einfach nur harte Arbeit, die, wenn’s gut geht, mit Applaus belohnt wird.

Zum Schluss noch ein paar simple Hard Facts:

In Österreich erwirtschaftet der Kultursektor mit weit über 100.000 Beschäftigten ca. 6 Milliarden Euro Wertschöpfung. Zum Vergleich: in Deutschland beträgt die Wertschöpfung über 100 Milliarden Euro, der Anteil am BIP liegt in beiden Ländern bei über 3%. In Deutschland sind rund 1,2 Millionen Menschen in der Kultur- und Kreativwirtschaft tätig, das sind deutlich mehr als in der Autoindustrie, wo es 2019 832.000 Beschäftigte gab.

Ich vermute, dass die Zahlen für die Kultur sogar um einiges höher anzusetzen sind, da es im Kultursektor so viele atypische Arbeits- und Produktionsverhältnisse gibt, dass sie von der Statistik vermutlich längst nicht alle erfasst werden. Dazu kommt noch das, was man Umwegrentabilität nennt, so verdankt sich beispielsweise ein bedeutender Teil des Tourismus in Österreich dem hiesigen Kulturangebot, auch die vielen Kongresse wären ohne entsprechendes Rahmenprogramm nicht denkbar. Und schließlich ist da die ständige und unbezahlbare Präsenz Österreichs in den internationalen Medien durch die zahllosen Kulturträger, die großen und kleinen Festivals und Kulturevents.

Es ist eigentlich ein Jammer, dass diese Dinge in der „Kulturnation“ Österreich heute noch thematisiert werden müssen. Zu selbstverständlich ist uns der Schatz, den wir hier haben, zu gleichgültig gehen wir damit um. Die Kultur ist kein Bittsteller und Almosenempfänger, sondern ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor, dies sei allen Technokraten und Kulturbanausen ins Stammbuch geschrieben. Damit soll’s aber auch wieder genug sein mit Zahlen und Fakten, die doch, wie ich meine, im Grunde völlig unerheblich sind. Denn der wahre Wert von Kunst und Kultur ist ein ganz anderer und zum Glück weder in Zahlen noch Geld fassbar.

Der erschließt sich halt leider nicht jedem.


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