Mit großem Vergnügen lese ich bei Wladimir Kaminer, dass man in Deutschland der Ansteckungsgefahr mit Covid19 durch ein Pfeilsystem zu begegnen versucht, das die Menschenströme im öffentlichen Raum kanalisieren soll: Grüne Pfeile kennzeichnen den Eingang, Rot ist für den Ausgang.
Typisch deutsch, ist man da als Österreicher geneigt zu denken, und tatsächlich zeugt dieser Ansatz von dem geradezu putzigen Versuch, Ordnung ins Leben zu bringen, und von einem tiefen Glauben an die Macht des Regulativs: Das Leben ist erst dann gut und richtig, wenn es in durch Gesetze und Verordnungen gelenkten Bahnen verläuft. Glücklich ist hier nicht, wer vergisst, sondern wessen Leben gründlich geregelt ist. Das Paradies muss in dieser biederen Weltsicht wohl ein Ort sein, an dem die Regulierung wirklich endgültig, allumfassend und ausnahmslos geworden ist.
Das mag man amüsant finden. Als Österreicher sollte man sich allerdings mit Spott und Häme nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, lehren uns doch sowohl Geschichte als auch persönliche Erfahrung, dass die Erfüllung von Vorschriften hierzulande in aller Nonchalance noch weitaus gründlicher, genussvoller und auch gnadenloser geschieht als bei unseren Nachbarn. Freilich versuchen wir Gesetze nach allen Regeln der Bauernschläue zu umgehen, solange wir uns durch sie zu bestimmtem Verhalten verpflichtet sehen, sei’s bei der Steuer oder im Straßenverkehr. Was uns selbst betrifft, sind wir da ausgesprochen großzügig und tolerant. Andererseits wird der Österreicher umso pingeliger und unnachsichtiger, sobald es um die Gesetzestreue der anderen geht, oder wenn er gar in eine Position gelangt, in der er das Gesetz zu vollziehen hat, sei’s auch nur als kleiner Beamter oder Polizist. Nicht zufällig überstieg während des heurigen Lockdowns die Zahl der Anzeigen wegen Vergehen gegen diverse Bestimmungen (welche gar keine rechtliche Basis hatten, wie sich nachträglich herausstellte) bei weitem die Zahl der Covid19-Erkrankungen. Und ebensowenig zufällig haben Österreicher in beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts in aller Gemütlichkeit ungezwungen die ärgsten Gräueltaten begangen und zählten, egal ob privatim oder in offizieller Funktion, zu den eifrigsten und konsequentesten Schergen des Nationalsozialismus.
Gemildert wird diese sehr österreichische Neigung zu Grauslichkeiten nicht etwa durch das Gesetz, denn dieses dient nach hiesiger Auffassung weniger dem Schutz des Individuums und seiner Bürgerrechte gegenüber dem Staat, sondern im Gegenteil der Festlegung seiner Rolle und Pflicht als Untertan. Die Idee vom Volk oder gar vom einzelnen Bürger als Souverän hat sich hierzulande nie so richtig durchgesetzt, der Bürger ist Objekt der Obrigkeit und als solches generell suspekt. „Transparenz“ ist und bleibt ein Fremdwort, so, wie der Einzelne meist mit gutem Grund nicht möchte, dass ihm irgendwer in seinen Keller schaut, so lässt sich auch der Staat nicht gern in die Karten blicken, weder bei der Gesetzesfindung noch beim Vollzug. Darum sind gesetzliche Regelungen auch möglichst uneindeutig gehalten und werden durch eine Vielzahl von Unterparagraphen, Verordnungen und Erlässen noch zusätzlich verworren und intransparent gemacht. Insbesondere auf Rechtsansprüche des Bürgers gegenüber dem Staat oder seinen Institutionen legt man sich nur ungern fest, die lässt man lieber mit einem „Mia san ja ned a so“ oder „Mia wean kan Richter brauchn“ in Schwebe und abhängig von der Laune der Behörde.
Wenn es Milde gibt, dann einzig durch den Gnadenakt, der in schönster feudaler Tradition auch 100 Jahre nach dem Ende der Monarchie fröhliche Urständ feiert. Er ist fest in der österreichischen Psyche verwurzelt und kann auf allen Ebenen vollzogen werden, von der Weihnachtsamnestie des Bundespräsidenten bis zum stets widerwilligen Einordnenlassen im Straßenverkehr. Auf den Gnadenakt besteht klarerweise kein Rechtsanspruch, er ist reine Willkür, das macht ihn so großartig. Und obwohl der Gnadenakt naturgemäß immer von oben nach unten vollzogen wird, ist er dennoch jedem möglich, denn er erhebt den Gnade Gewährenden wenigstens für diesen Moment moralisch und sozial federleicht weit über sein Gegenüber. Irgendjemand, über den man diese Gewalt der Gnade ausüben kann, findet sich somit immer, so tief kann man gar nicht gesunken sein, und wenn’s die eigenen Kinder sind oder der Hund.
Man kann sich also gut ausmalen, wie eine Regelung wie das eingangs beschriebene Pfeil-Leitsystem in Österreich „funktionieren“ würde. Die derzeitige kommunikationstechnisch ausgesprochen moderne Regierung würde solch eine Maßnahme jedenfalls in mehreren Pressekonferenzen groß ankündigen, wobei der Kanzler salbungsvoll mahnende Worte an die Bevölkerung richtet, der Vizekanzler ins Volkstümliche übersetz, der Gesundheitsminister an die Vernunft appelliert und der Innenministern allen „Lebensgefährdern“ mit der Flex droht. Die Umsetzung wäre gewohnt rudimentär in einer Mischung aus Ignoranz und Wurschtigkeit, die Befolgung schlampig und launig aus Prinzip und Desinteresse. Rote und grüne Pfeile würden planlos und willkürlich mit unleugbarer Lust an der Schikane angebracht, vor Theatern, Konzerthäusern und öffentlichen Grünflächen gäbe es ausnahmslos nur rote Pfeile. „Experten“ unbestimmter Herkunft erteilten Tipps und Anweisungen, selbst ernannte Blockwarte und Polizisten würden Vergehen gnadenlos zur Anzeige bringen. Am Ende stellte sich dann heraus, dass alles gar keine rechtliche Basis hätte und der Verfassung widerspräche, was weiter keinen kümmerte, da ja alles eh nie so ernst gemeint war.
Fantasie? Wie österreichische Behörden zu arbeiten gewohnt sind, sieht man sehr schön an der aktuellen „Corona-Ampel“. Es ist zwar von Richtlinien und Kriterien die Rede, nach welchen die Entscheidungen über die Ampelfarbe für den jeweiligen Bezirk gefällt wird, nachvollziehbar und argumentierbar sind diese jedoch kaum. Das Gremium, das diese Entscheidungen fällt, tagt halb im Geheimen, wirkliche Begründungen für die Maßnahmen gibt es nicht, auch die gesetzlichen Grundlagen sind unklar oder nicht vorhanden. Quod erat demonstrandum: Ein Begriff wie „Transparenz“ spielt in der österreichischen Staatsidee keine Rolle, die Entscheidung einer Behörde muss darin nicht logisch und begründbar sein, sie ist vielmehr wie ein Gottesentscheid jedenfalls von oben kommend und widerspruchslos hinzunehmen. Amen.
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