Schrödingers Schule

Nun sind in Österreich also auch die Schulen geschlossen. Pardon: die Schulen bleiben natürlich geöffnet, es findet nur kein Unterricht mehr statt, ein ganz wunderbares Paradoxon von literarischer Qualität! Da hat jemand Kafka, Musil und Herzmanovsky-Orlando gründlich studiert, möchte man meinen, wenn nicht solche Kuriositäten in der Regel weit wahrscheinlicher einem gehörigen Mangel an Bildung entsprängen, denn einem Übermaß derselben.

Schulschließungen sind eine Katastrophe für die betroffenen Kinder, darin sind sich so gut wie alle Experten auf diesem Gebiet einig. Es gibt außerdem von kompetenter Seite fundierte Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme in Hinblick auf die Verbreitung des Virus. Eine wissenschaftliche Begründung, weshalb Schulschließungen denn unbedingt notwendig seien, oder gar eine Aufrechnung, ob der Nutzen den angerichteten Schaden tatsächlich übersteige, bleibt die Regierung folgerichtig auch schuldig. Nein, dieser Lockdown ist schlicht die einfachste Maßnahme, für die braucht es keine Fantasie, und man kann die eigene Planlosigkeit so mit viel Theaterdonner kaschieren. Man dreht den Generalschlüssel um und behauptet, das wäre alternativlos. Möglicherweise ist dies nach Monaten des regierungsseitigen Dahinwurschtelns gepaart mit Verantwortungslosigkeit mancher Mitbürger ja tatsächlich der Fall, ein Plan oder eine seriöse Perspektive fehlt aber völlig. Stattdessen gibt’s das blauäugige Versprechen von einem „Weihnachten wie früher“ und die medienwirksame Ankündigung von Massentestungen.

Die österreichische Bundesregierung verabschiedet sich mit dieser Schulschließung à la Schrödinger jedenfalls ganz offiziell von der Idee, dass Schule eine Bildungseinrichtung sei. Bildung wird – wie bereits die Kultur – heruntergefahren, findet in der Schule nicht mehr statt bzw. wird in eine für viele unerreichbare Ferne gerückt. Übrig bleibt die Schule als Betreuungseinrichtung. Die Regierung ignoriert dabei die Meinung und Empfehlungen der meisten Experten, Pädagogen, Psychologen, Ärzte, auch die der Ampel-Kommission, der Lehrer und Eltern sowieso, ja sogar der Wirtschaftskammer und des eigenen Bildungsministers, den ich hinfort seiner tatsächlichen Tätigkeit entsprechend lieber Betreuungsminister nennen möchte.

Dieser Minister macht eine recht eigenartige Figur in dem ganzen Drama, er wirkt irgendwie hilflos und deplatziert. Der Herr Bundeskanzler scheint ihn zu ignorieren, braucht ihn wohl nur als akademisches Feigenblatt in seinem Pennälerdasein. Die Ausführungen und Ratschläge, die Betreuungsminister Faßmann zuletzt zum Thema Homeschooling gab, zeugen von einer geradezu rührenden Ahnungslosigkeit von der Sache selbst sowie vor allem von der Lebensrealität der allermeisten Familien. Es hilft nur leider niemandem, wenn der Minister so überzeugend die Karikatur eines weltfremden, abgehobenen Wissenschafters gibt, das mag auf seine Regierungskolleg*innen durchaus possierlich wirken und wäre auf einer Laientheaterbühne wahrscheinlich für ein paar Lacher gut, für ein Ministeramt reicht diese Performance definitiv nicht.

Beklagenswert ist aber die Einstellung zur Bildung in dieser Regierung ganz allgemein. Bildung rangiert da offensichtlich auf einer Skala zwischen suspekt und wurscht und damit auf der selben Stufe wie die Kultur. Bildung hat für diese Leute keinen Wert per se, ist bestenfalls als Ausbildung von Interesse, wo sie Voraussetzung für gut dotierte Jobs ist. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, was die Ursachen für die Bildungsferne einiger Regierungsmitglieder sein mag, ob sie mit dem Versagen in der eigenen Biographie zu tun hat oder womit auch immer. Vielleicht möchte Herr Kurz ja nur mit aller Gewalt verhindern, dass die nächste Generation einen höheren Bildungsabschluss erreicht als er selbst, und da muss er naturgemäß bereits in der Volksschule ansetzen. Im übrigen geht es ihm ausschließlich um sein persönliches Image und um Macht, und da zählt Marketing mehr als Inhalte, sind geile Schlagzeilen wichtiger als sinnvolle Politik.


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