Alle sind zufrieden: Eine scheinbar ausweglose Regierungskrise sondergleichen hat nun doch ihre wahrhaft österreichische Lösung gefunden.
Herr Kurz macht gnädig einen „Schritt zur Seite“, gibt sich als Staatsmann, der die Interessen Österreichs über die eigene Person stellt, und heimst dafür auch noch Applaus ein. Wenn das allerdings jemand mit derartigem Pathos öffentlich kundtun muss, sind Zweifel angebracht, immerhin hätte Herr Kurz ja in den letzten Jahren ausreichend Gelegenheit gehabt, entsprechend zu handeln. Die im Zuge dieser Affaire bekannt gewordenen Chats lassen vermuten, dass er das eher nicht getan hat. Aber das ist ja nun alles bedeutungslos angesichts dieser übermenschlichen Größe seines Rücktritts im Dienste Österreichs. Er behält allerdings als Partei- und Klubobmann alle Zügel in der Hand und hat so auch den neuen Kanzler an der Leine, ein System, wie es Herr Kaczyński in Polen schon länger sehr erfolgreich praktiziert.
Kurz agitiert also wieder im Hintergrund (aus dem Hinterhalt?), genau – Funfact! – wie in dem Zeitraum, aus dem der Großteil der peinlichen Chats stammt, und der jetzt von der Justiz auf diverse Straftaten hin untersucht wird. Er kann sich damit auf das konzentrieren, was hinter der eloquenten Fassade vermutlich seine eigentlichen Stärken sind: Selbstdarstellung, Sabotage und Destruktivität. Außerdem kann er ganz in der Opferrolle aufgehen, wofür er von seinen Anhängern zweifellos noch inbrünstiger verehrt werden wird.
Seine Gefolgsleute bleiben derweil in ihren Minister- und sonstigen politischen Ämtern und werden in seinem Sinne weitermachen. Das „System Kurz“ war nie in Gefahr und wird auch fürderhin im Interesse aller Beteiligten funktionieren. Ich kann mir vorstellen, dass Herr Schallenberg der Einfachheit halber gleich das ganze Kabinett bewährter Experten seines Vorgängers übernimmt, damit Kommunikation und Medienarbeit auch in Zukunft wie geschmiert laufen.
Ja, Herr Schallenberg ist nun die von den Grünen gewünschte „untadelige“ und honorige Person an der Regierungsspitze. Wieviel Eigenständigkeit ihm erlaubt ist, wie eigenständig er überhaupt sein will, bleibt abzuwarten. „Sehr enge Zusammenarbeit“ mit Kurz hat der neue Kanzler bereits angekündigt. Wie „honorig“ Herr Schallenberg im übrigen ist, mag man an seinen Aussagen zu Moria oder Afghanistan ablesen; auch sein erstes Statement als Kanzler, die Vorwürfe gegen Kurz seien falsch, könnte Verfechter der Gewaltenteilung verwundern, immerhin weiß er da offensichtlich mehr als selbst die Justiz und greift einem laufenden Verfahren vor. Erstaunlich ist jedenfalls, was mittlerweile alles – nicht nur für die Grünen – als untadelig durchgeht.
Die Grünen dürfen aber immerhin weiter regieren, das ist die Hauptsache, ohne sie wäre ja alles viel schlimmer gekommen. Sie dürfen ihre Ämter und Posten behalten, auch das ist wichtig, viele von ihnen kennen ja die Mühen der unerwarteten Jobsuche. Sie können auch erhobenen Hauptes sagen, dass sie diesmal nicht klein beigegeben haben, sondern ihren Werten und Prinzipien treu geblieben sind und sich auch durchgesetzt haben. Sie dürfen weiters hoffen, dass Herr Kurz ihnen trotz dieser Aufmüpfigkeit zukünftig ein paar kleine Erfolge erlauben wird wie beispielsweise diese Karikatur einer ökosozialen Steuerreform, die doch vielmehr der Erfolg konsequenter türkiser Klientelpolitik ist. Die grüne Werbefamilie aus Gmunden in ihrer 160m²-Neubauwohnung wird sich auf jeden Fall freuen, kann sie es sich doch Dank Klimabonus nun locker leisten, dreimal so viel Auto zu fahren.
Herrn Kurzens großzügige Förderer und Spender dürfen sich ebenfalls freuen, denn sie profitieren ja nun wirklich von der geplanten Steuerreform, deren Umsetzung jetzt gesichert ist. Sie werden auch weiterhin in der ÖVP einen treuen Partner haben, der verlässlich nach dem Prinzip „Quid pro quo“ liefert, was gebraucht wird, und sie werden ihre Dankbarkeit zu zeigen wissen.
Nebenbei kann sogar die SPÖ mit der Entwicklung zufrieden sein, obwohl die kurzfristige Chance, quasi aus dem Nichts heraus in eine Regierung hineinzuplumpsen, nun wieder perdu ist. Dafür kann sich die traditionsreiche Partei beruhigt weiter der Nabelschau und ihren internen Querelen widmen und muss nicht verzweifelt nach Konzepten oder Strategien fürs Regieren suchen. Der wahre Gewinner ist ja sowieso die FPÖ, das werden künftige Wahlen zeigen.
Kurz und die ÖVP dürfen jedenfalls darauf vertrauen, dass sich die ganze Affaire mit der Zeit applaniert. Soferne nichts strafrechtlich Relevantes hängenbleibt, werden sich die Leute auch mit diesen ekligen Chats abfinden, wie sie sich ja schon an so vieles gewöhnt haben, was noch vor kurzem undenkbar schien. Erstaunlich viele finden es jetzt schon „normal“, dass Meinungsumfragen und Medienberichte gekauft und manipuliert sind, sie werden es auch normal finden, dass ein Kanzler seinen Vorgänger als „Arsch“ bezeichnet, immerhin beweist er doch damit, dass er nicht abgehoben ist und die Sprache des Volkes spricht.
Den Orakeln mancher Kommentatoren, dass der entthronte Kanzler von den Niederungen des Politalltags und der Parlamentsarbeit genervt bald einen Neubeginn außerhalb der Politik versuchen werde, würde ich eher nicht glauben. Dazu müsste Herr Kurz doch irgendetwas gelernt haben, irgend eine Ausbildung oder Fähigkeit vorweisen können. Er aber war seit der Matura immer nur Politiker, sonst nichts, er kann nur Politik, und selbst das lediglich als Machtspiel. Wer wollte so jemanden als Mitarbeiter, Kollegen, Vorgesetzten? Die Politik ist für Herrn Kurz alternativlos, zumal Anklagen und Prozesse drohen. Was bleibt ihm also übrig, als die baldige Rückkehr ins Kanzleramt anzustreben? Das passende Drehbuch wird sicher schon geschrieben.
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