Neue Perspektiven braucht die Kultur!

Seit Beginn der Pandemie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Kulturschaffende durch die Bank entsetzliche Jammerlappen und Heulsusen sind. Dauernd beklagen sie sich über Arbeitsverbote, über geschlossene Theater und Konzerthäuser und über Veranstaltungsverbote, die trotz umfassender Sicherheitskonzepte und trotz der Tatsache, dass es bei Kulturveranstaltungen keinen einzigen Cluster gegeben hat, kompromisslos verordnet wurden. Sie beklagen sich über die angebliche Ungerechtigkeit, dass andere Branchen ohne Einschränkungen weiterarbeiten dürfen, während die Kultur von der Politik und weiten Teilen der Bevölkerung als nicht systemrelevant eingestuft und folgerichtig bei jedem Lockdown als erste zugesperrt und als letzte wieder geöffnet wird. Natürlich monieren sie auch fehlende finanzielle Unterstützung, dabei machen Kulturschaffende doch, wie der Herr Kulturminister mit ausufernder Kompetenz erklärte, ohnehin keinen „Umsatz im eigentlichen Sinn“. Vor allem aber beklagen sich die Kulturschaffenden, dass die Kultur im selbsternannten Kulturland Österreich nicht gebührend gewürdigt und wertgeschätzt werde und in entsprechenden Verordnungen noch hinter Bordellen und Glücksspielstätten gereiht sei. Selbst wenn das Gesuder vereinzelt in schon eher nachrichtentaugliche Aggression umschlägt, bleibt das Odeur von moralinsaurer Betulichkeit. Kein Wunder also angesichts so viel Jammerei, dass der Kanzler abschätzig von „Kulturverliebten“ spricht und selbst der Herr Kulturminister erkennt, dass man sich am Nebenschauplatz Kultur keine Lorbeeren verdienen kann, weshalb er lieber erst gar nichts mit Kultur zu tun haben möchte.

Nun betonen zwar alle die Wichtigkeit von Kultur für die Gesellschaft und konzedieren ihr auch eine gewisse Bedeutung für den Tourismus; man bedauert die Schließungen mit Krokodilstränen aus untiefem Herzen und sichert Unterstützung zu; am Ende bleibt es aber bei den schönen, leeren Worten, denn Politik agiert meist auf Basis einer nüchternen Klientel-Kosten-Nutzen-Rechnung. Es bringt erstmal keine Wählerstimmen, sich für Kultur einzusetzen, weil es schlicht ein Miniminderheitenthema ist. Man läuft im Gegenteil Gefahr, vom Boulevard, dem Kultur prinzipiell verdächtig ist, für derart abgehobenes Verhalten angegriffen und zerrissen zu werden. Weshalb sollte ein Politiker sich da also engagieren, wenn dazu auch noch die persönliche Beziehung zur Kultur fehlt und man somit eh nichts vermisst, wenn Kultur nicht stattfindet? Wenn man den Unterschied zwischen „live“ und „streamen“ nicht kennt, weil man an Kultur weder auf die eine noch auf die andere Art partizipiert, sondern sie bestenfalls aus der Konserve konsumiert? Der Diskurs, den Kunst immer auch einfordert, ist einer Politikerkaste, die nur mehr auf Message control setzt, ohnehin von Grund auf fremd und zuwider.

Deshalb einmal ganz abgesehen vom künstlerischen, ästhetischen oder intellektuellen Wert, der für die meisten sowieso ein nicht nachvollziehbares und somit überflüssiges Abstraktum bleibt: Die gewaltige wirtschaftliche Leistung und Wertschöpfung, die große Zahl der Beschäftigten und die enorme Bedeutung der Kultur für die Gesamtwirtschaft werden von der Politik hierzulande, die ja weitgehend inhaltsleer und visionslos nicht auf Tatsachen oder Notwendigkeiten, sondern ausschließlich auf Sachzwänge reagiert, so lange nicht wahrgenommen werden, als die Kultur sich diese Aufmerksamkeit nicht durch effizientes und mit entsprechenden Spenden unterfüttertes Lobbying verdient. Denn, wie der über jeden Verdacht erhabene Herr Nationalratspräsident jüngst so treuherzig dargelegt hat: Es passiert nichts ohne Gegenleistung.

Der Vergleich mit anderen Branchen macht sicher. Möbelhäuser durften noch bis vor kurzem und Skigebiete dürfen sogar im Lockdown quasi ungehindert und mit Massenandrang Umsatz machen und Cluster produzieren. Waffengeschäfte durften Kunden empfangen (aber doch nur wegen der Schweinepest!), während Buchhandlungen zusperren mussten. Der Handel blieb geöffnet, während Museen geschlossen wurden, obwohl diese nur einen Bruchteil der Besucher eines durchschnittlichen Shoppingcenters haben. Und jetzt stehen wir vor der Situation, dass Kulturschaffende und –veranstalter mit den Bedingungen, an welche die für die Zeit nach dem aktuellen dritten Lockdown in Aussicht gestellten „Lockerungen“ geknüpft sein sollen, derart offen verarscht werden, dass man sich ein größeres Maß an Häme und Missachtung kaum mehr vorstellen kann.

Höchste Zeit also, aus all dem die richtigen Lehren zu ziehen! Höchste Zeit, die Kultur aus dem Schmuddeleck der selbstverschuldeten Isolation zu holen und neue Wege einzuschlagen! Schluss mit Wehleidigkeit und Selbstmitleid, auf zu neuen Initiativen und Perspektiven!

Eine einfache und rasch umsetzbare Möglichkeit wäre beispielsweise die Kooperation mit großen Möbelhäusern. Wir haben ja gelernt, dass die im Möbelhandel üblichen ständigen Marketing-Aktionen und Events keine Veranstaltungen sind, somit auch keiner Genehmigungspflicht unterliegen und bequemerweise auch nicht weiter kontrolliert werden. Kultur-Räumlichkeiten würden also zu Verkaufsflächen erklärt, eine Theaterpremiere wäre dann zum Beispiel eine Megastore-Eröffnung, und schon gäbe es keinerlei Einschränkungen mehr für den zu erwartenden Besucheransturm. Die Verkaufsflächen in Möbelhäusern sind ja bekanntlich so groß, dass es kein Infektionsrisiko gibt, das wird dann logischerweise auch im kleinsten Kellertheater so sein. Auch in puncto Preisgestaltung könnte man sich vom Möbelhandel einiges abschauen: Man setze den regulären Ticketpreis erstmal völlig überteuert an, um dann das Publikum im Wochentakt mit Rabatt-Aktionen und Gratis-Schnitzel zu ködern. Das müsste doch auch in der Kulturbranche funktionieren.

Negativ auswirken könnte sich allerdings das bewusst im Marketing lancierte geschmacklos-billige Image vieler großer Möbelketten, das wohl dem ästhetischen Standard der angebotenen Ware entsprechen soll. Dieses Image steht jedoch in einem gewissen Kontrast zu den moralisch-ethischen Ansprüchen der Kultur an sich selbst – man denke nur an Schillers Rede „Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet“. Außerdem musste der Möbelhandel ja letztendlich ebenfalls seine Tore schließen, so dass auch er keine absolute Planungssicherheit bietet.

Weit charmanter und ausbaufähiger wäre da folgender Ansatz:

Wenn es in Österreich eine Branche gibt, die bestens vernetzt perfektes Lobbying betreibt und selbst die absurdesten Projekte von Banken wie öffentlicher Hand gleichermaßen großzügigst gefördert bekommt, dann ist das der Tourismus, insbesondere der Wintertourismus vertreten durch die Schigebiete und Seilbahnbetreiber. Schifahren darf man auch noch, wenn Schulen geschlossen sind und alles andere längst verboten ist, Schifahren gehört für die österreichische Politik offensichtlich zu den absoluten Grundbedürfnissen wie Essen und Trinken. In einer österreichischen Charta der Menschenrechte (so es eine solche gäbe, denn eigentlich brauch’ ma sowas ned) stünde Schifahren sicherlich an oberster Stelle. Sollten sich also die Kulturschaffenden nicht dringend einmal mit Herrn Schröcksnadel und Co. zusammensetzen, um dem Kulturbetrieb nachhaltig auf die Sprünge zu helfen? In einem ersten Schritt müssten sämtliche Theater, Opern- und Konzerthäuser und alle Museen mit modernen Seilbahnen erschlossen werden. Mit der Gondel zur Kultur, das wäre jung, trendy, chic, brächte außerdem neue Publikumsschichten und wirtschaftliche Power. Vor allem aber hätte die Kultur in der Seilbahnwirtschaft endlich eine Lobby, die sich effektiv um sie bemüht und bei der Politik Gehör findet. Einer uneingeschränkten Öffnung sämtlicher Kulturinstitutionen stünde nichts mehr im Wege, sogar die ganzen komplizierten Sicherheitskonzepte wären obsolet. Mit der verblüffenden Logik der Seilbahnwirtschaft müssten ja sämtliche Kapazitätsbeschränkungen im Publikumsbereich sofort aufgehoben werden, um keinen Stau im Foyer zu verursachen.

Analog zu den Schigebieten entstünden Kulturgebiet, in Wien etwa die Kulturwelt Hochkultur mit Staatsoper, Burg- und Akademietheater, Musikverein und Konzerthaus, weiters die Museumskulturarena rund um Helden- und Maria-Theresien-Platz, oder das Kulturgebiet Vorstadt mit Volkstheater, Josefstadt und Volksoper. Auch ein Off-Kulturgebiet wäre möglich, in dem sich ansonsten nicht weiter erwähnenswerte Kleinbühnen und Kellertheater zu einer attraktiven Alternativ-Region zusammenschlössen. In einer zweiten Ausbauphase könnte man die einzelnen Gebiete mit weiteren Seilbahnen zu Kulturschaukeln verbinden und Kulturberieselungsanlagen errichten, wo Kulturkanonen Kunstkultur vernebeln, um ganzjährige Kultursicherheit unabhängig von unberechenbaren Kreativitätsschüben zu garantieren.

Auch eine entsprechend breit aufgestellte Kulturartikelindustrie würde rasch entstehen: trendiges Kultur-Outfit und Hightech-Ausrüstung für das optimale Kulturerlebnis käme auf den Markt; der Neopren-Frack etwa, an dem lästige kulturelle Irritationen und Provokationen abperlen, Kulturbrillen für den intellektuellen Durchblick, Kulturhelme zum Schutz vor allzu plakativen Inszenierungen, Protektoren, falls man am glatten Kulturparkett zu Sturz kommt, Survival-Kits inklusive Energy-Drink, Ear pads und Gabalier-Playlist für Hardcore-Festivals à la Wien Modern et cetera, et cetera. Völlig neue Möglichkeiten des Kultur-Merchandisings eröffneten sich! Der Bedarf wird jedenfalls da sein, und der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Gehen wir also endlich neue Wege! „Mutig in die neuen Zeiten“, wie es so schön heißt, denn andernfalls wird die Kultur zu völliger Bedeutungslosigkeit verkommen.


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Ein Kommentar zu “Neue Perspektiven braucht die Kultur!

  1. hallo gerhard, ich habe nur den ersten absatz gelesen, ich kann solche langen texte nicht gut am laptop lesen, sorry. ich möchte dir aber sagen, dass ich sehr gut verstehen kann, dass die kunst-und kulturschaffenden deprimiert und mehr sind. und ich kann dir ebenso sagen, dass ich das kulturelle angebot sehr vermisse und ich bin sicher nicht die einzige, die es vermisst. kulturelle und künstlerische arbeit ist wichtig und es gibt viele, die konzerte, museumsbesuche, lesungen, theaterbesuche etcp vermissen. ich weiß leider nicht wirklich ermutigendes zu sagen, außer: ihr seid nicht vergessen! beste wünsche und viel kraft aus berlin, und trotz allem, wünsche ich dir ein gutes jahr. liebe grüße, m.

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